Regenspaziergang mit Kindheitserinnerungen

Kann man einen Monat nach Weihnachten noch einen Spaziergang vom 1. Weihnachtsfeiertag zeigen? Wenn man bei einem seltenen Heimatbesuch einen Spaziergang durch das Dorf der Kindheit macht, finde ich kann man. Wettertechnisch hätte dieser Spaziergang zu jedem Tag der dunklen Jahreszeit stattfinden können, gab es doch keine Spur von Schnee, dafür unaufhörlichen Regen. Kein Hinweis auf Weihnachten. Insofern hätte ich auch behaupten können, er hätte erst Mitte Januar stattgefunden. Aber ich bin ja ehrlich 😉

Nach einem deftigen Weihnachtsessen und vor dem Kaffee hatten der Beste und ich das dringende Bedürfnis, trotz nicht enden wollendem Regen etwas Licht und Luft zu tanken. Das Tageslicht war dank der tiefhängenden Wolken im engen Tal eh spärlich. Frische Luft gab es im ländlichen Tal dafür genug. Also haben wir uns mit neugenähtem Wollmantel (ich) und Schirm (der Beste) und festem Schuhwerk ausgerüstet und sind losgestiefelt. Und die etwas angeschlagenen Eltern hatten Zeit für ein kurzes Nickerchen, bevor der Rest der Familie so nach und nach eintrudelte.

Baugitterbehübschung vor Baudenkmal.
Bulldoggarage und Obstgarten des gegenüber gelegenen Nachbarhofs. Die heutigen Traktoren würden da nicht mehr hinein passen. Hier kann man auch gut die Topografie erahnen. Hinter dem kleinen Gebäude ist die Stützmauer und das Geländer der auf Höhe Dachfirst gelegenen oberen Dorfstraße zu erkennen. Hinter den auf der hangseitigen Straßenseite angrenzenden Gebäuden steigt der Hang weiter steil an.
Gegenüber der zum Nachbarhof gehörige und wegnamengebende Weiher, inzwischen allerdings verpachtet. Die am Hang über dem Dorf gelegene Kirche ist zwischen Geäst und Regenwolken dafür kaum auszumachen.
Wo eine der den Weiher speisenden Quellen vom Berg herunter mündet, ist eine Ecke nicht abgezäunt und frei zugänglich. In meiner Kindheit haben wir dort die Wäsche direkt aus der Waschmaschine heraus hingebracht und gefladert. Macht schon lange niemand mehr. Und das Wasser war eisig kalt, beim auswringen sind mir die Hände fast abgefroren. Die Fische finden es angenehm, sind allerdings schnell in der Quellengrotte verschwunden, als ich zum fotografieren näherkam. Einer war nicht schnell genug.
Ein bisschen Farbe am Weiherzaun
Die Bäckerei ist auch schon lange geschlossen. Weil der letzte Besitzer, der Sohn der Bäckersleut meiner Kindheit, kinderlos verstarb. Der übrigens, ebenso wie sein Vater, Feuerstein hieß. Allerdings kein Fred weit und breit. Zwischen Weiher und Bäckerladen war auch die Poststelle des Ortes in einem direkt neben der Haustür gelegenen kleinen Kämmerchen mit Schreibtisch im Privathaus der Briefträgerin situiert. Als diese in Pension ging, war Schluss mit Poststelle im Dorf und Post mit Fahrrad austragen.
Kickernachwuchs.
Das sog. Schloss. Barocker Bau von etwa 1733 mit kreuzförmigem Grundriss und mittelalterlichem Kern. Spielstätte meiner Kindheit und Gegenstand meiner Diplomarbeit. In den frühen 2000er Jahren von einer Architektin gekauft und wieder zu altem bescheidenen Glanz renoviert. Ehemals zum Pfalzgrafentum Sulzbach gehöriges Landsassengut, dessen wohl berühmtester Besitzer Christian Knorr von Rosenroth war.
Dem im Rahmen der Dorferneuerung in Schlossnähe ein Denkmal gesetzt wurde. Sehr ähnlich dem in Sulzbach in der Neustadt, mit Schreibfeder und Büchern. Christian Knorr von Rosenroth war nicht nur Hofrat und Kanzleidirektor des Sulzbacher Pfalzgrafen Christian August und Mitbegründer des Sulzbacher Musenhofs, sondern auch mit vielen Geistesgrößen der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts gut vernetzter Universalgelehrter, Übersetzer wichtiger Werke und Dichter. Schreibfeder und Schreibbrett sollen ihn wohl gerade beim Dichten von „Morgenglanz der Ewigkeit“ darstellen, das bereits seit langem und auch im derzeitigen Evangelischen Kirchengesangbuch zu finden ist.
Auch der Dorferneuerung zu verdanken ist neben dem Brunnen mit Knorr-von-Rosenroth-Skulptur auch der Rest des „Kurparks“ mit Spielplatz, Trimm-Dich-Geräten und Kneippanlage. Der kleine Bach ist der Abfluss des zuvor gezeigten Weihers und mündet etwas weiter rechts in den eigentlichen Högenbach.
Auch zum Schloss gehörig, jedoch etwas neueren Datums ist der Stadel. Dessen Dach eine gute Möglichkeit bietet, in erneuerbare Energie zu investieren, ohne das Dach des denkmalgeschützten Schlosses zu verunzieren.
Immerhin einen Briefkasten gibt es noch. Gleich neben der Bushaltestelle, die nun statt des landesweit gleichen Betontrums meiner Schulzeit ein leider recht düsteres Holzwartehäuschen aufweist.
Wir folgen dem Bach Richtung Unterhögen. Zwischen den beiden Dorfteilen Ober- und Unterhögen gibt es nicht nur diese mit Tipi versehene Wiese mit Longierplatz, sondern auch historisch unterschiedliche Herrschaften. Während das obere Dorf um das Landsassengut eine pfalz-sulzbachische Hofmark mit eigener niederer Gerichtbarkeit war, war zumindest im 17. und 18. Jahrhundert für die 2 Huben Nigl und Winter und die Rennermühle die Reichsstadt Nürnberg mit Kastenpflegamt Hersbruck genannt. Die ebenfalls zu Unterhögen gehörige Finkenmühle war Nürnberger Lehen, sonst jedoch Hofkastenamt Sulzbach. (Quelle)
Das Stauwehr gehört zur Finkenmühle, der eigentliche Bach biegt ab.
Und da ist sie, die Finkenmühle. Deren Mühlrad bereits seit einigen Jahren auf Erholungsurlaub ist.
Die Waitzmühle (Rennermühle, s.o.) hat ihr Mühlrad noch. Die Bausubstanz der denkmalgeschützten Mühle musste bei der Sanierung vor etwa 30 Jahren jedoch nach Teileinsturz großteils komplett erneuert werden. Der Fachwerkgiebel dahinter gehört zur ebenfalls bereits genannten Hube Winter. Damit wären dann auch so ziemlich alle Gebäude abgedeckt, die Högen als eingetragenes Baudenkmal vorweisen kann. Auch das Fachwerkhaus meiner Familie, das mein Bruder gerade unter viel Mühen renoviert und von dem ich nur Bruchsteinmauerwerk und Bauzaun zeige.
Wir drehen um und gehen den gleichen Weg zurück. Die weite Schleife am anderen Talhang entlang war uns zu matschig, Nässe und Kälte außerdem auch langsam so richtig spürbar. Gegenüber der Finkenmühle am Schaergraben dann leuchtende Winterfarben. Irgendwo hier am langen vom Berg herabfallenden Graben wurden übrigens bei Grabungen um 1905 Siedlungsspuren der Latenezeit gefunden. Das Tal ist also schon länger besiedelt als die Ersterwähnung 1043 vermuten lässt.
Noch mehr Winterfarben. Die man nur wahrnimmt, wenn das Drumherum so richtig grau und trist ist.
Und ich kann es mir nicht verkneifen. Vor 30 Jahren wurden den zum Schloss benachbarten Bauwilligungen genaue Gestaltungsvorgaben auferlegt, um das Schloss als Baudenkmal nicht zu beeinträchtigen. Seit der Landgasthof seit etwa 15 Jahren immer weiter ausbaut, ist da keine Rede mehr davon. Selbst das Bebauen eines landwirtschaftlichen Zufahrtswegs ohne Kompensierung sowie das Sprengen jeglicher Proportionen und die Zerstörung eines Trockenrasenhangs unter Naturschutz sind da kein Hindernis.
Das ganze Elend nochmal von näher. Es wird nicht besser.
Erfreuen wir uns lieber am Kalksteinmauerwerk aus dem 19. Jahrhundert am Alten Haus und der baldigen Wärme im auch nicht mehr so neuen Haus.

Kaffee und Kuchen waren dann genau das Richtige, um von innen und außen wieder warm und trocken zu werden. Naja, trocken eher von außen 😉 Und es war schön, die Eltern und die Brüder mit ihren Familien mal wieder zu sehen. Und trotz Regen war auch der Spaziergang durch das Dorf der Kindheit mal wieder schön. Anderntags wurde es dann besser mit dem Regen, da sind wir dann gleich zweimal spazieren gegangen. Und noch einen Tag später dann noch durch Sulzbach spaziert. Dieser Spaziergang hier wandert jetzt jedoch erstmal zum Monatsspaziergang im Januar, wo die meisten anderen im Gegensatz zu uns durch verschneite Landschaften spazieren. Wer also lieber glitzernden Schnee als oberpfälzische Regentristesse sehen möchte, folge mir dorthin. Bis zum nächsten Mal, es war mir wie immer eine Freude.

10 Kommentare zu „Regenspaziergang mit Kindheitserinnerungen“

  1. Schööön! Auch meine Kindheitserinnerungen und der Geburtsort meiner Mama. Dankeschön liebe Heike… für das Erinnern von abgeschnittenen Jeans, aufgeschlagenen Knien, Rollerskates und Klappliegen. ☺️😘

    1. Und die Mutprobe, mit den Rollerskates den Fiedlbauernberg runter. Die Stelle, wo ich mir nach einem Sturz mit dem Fahrrad das Knie ziemlich übel aufgeschlagen habe, ist sogar Standpunkt für ein Foto. Jetzt hast du gleich noch mehr Kindheitserinnerungen angestoßen. Danke! Klappliegen verbinde ich allerdings eher mit Sulzbach und Bibione 😉
      LG heike

    1. Das liegt vor allem am Wetter in Verbindung mit dem 1. Weihnachtsfeiertag, da waren alle lieber drinnen en famille. Wenn der Wirt auf hat, ist zumindest dort in der Nähe recht viel los, inklusive verparken sämtlicher Straßen und auch privaten Höfe rundum. Auch der im Rahmen der Dorferneuerung angelegte Fußgängerstreifen wird dann grundsätzlich mit einem Parkstreifen verwechselt. Der 2 Gehminuten entfernte große Parkplatz des Wirten ist dafür halb leer. Verschlafen ist das Dorf also nicht immer, aber im Vergleich mit einem lebendigen Stadtzentrum dann doch eher. Nichtsdestotrotz war das Aufwachsen in diesem Dorf schön 🙂
      Liebe Grüße, heike

  2. trotz des regens und des verschlafenen dorfes hast du doch richtig schöne bilder mitgebracht. ich mag die rötlichen efeublätter, die fußbälle, den fisch im wasser, das holz vom stadel, die alten mauern und sogar das foto der stillgelegten bäckerei hat einfach was. wenn auch etwas trauriges. aber das gehört ja auch dazu.
    ich bin gern mit dir durch dein dorf spaziert!
    liebe grüße von mano

    1. Ich habe die Schönheit im alltäglichen Wintergrau gesucht, und so viel davon gefunden. Und viele Erinnerungen noch dazu. Im Kontakt mit einem ebenfalls Weggezogenen haben wir uns über das Wort „fladern“ unterhalten (beide sind wir mit „Hiengerisch“, dem dörflichen Dialekt, großgeworden) und dabei fiel mir dann ein, dass es hier in der Steiermark nicht für Wäsche in klarem Wasser auswedeln steht, sondern für stehlen. Sprache und ihre regionalen Eigenheiten ist so ein unerschöpflicher Schatz 🙂
      Liebe Grüße, heike

  3. Hallo Heike,
    warum sollte man Bilder nach einem Monat nicht mehr zeigen sollen? Ich hinke mit der Veröffentlichung meiner Bilder selber extrem hinterher. Sprich ich mach mehr Bilder als das ich diese Posten kann …

    Mir gefällt auch besonders, das nicht nur die Schokoladenseite eines Ortes gezeigt wird, sondern auch die „Schmuddelecken“ …

    LG Bernhard

    1. Beim Monatsspaziergang sollte man einen Fotospaziergang des aktuellen Monats zeigen. Aber ich hinke mit so vielen Berichten ganz furchtbar hinterher. Da wartet noch so vieles. Bin ich froh, dass es nicht nur mir so geht 😉
      Ich nenne das dann immer Bilder mit Charakter, klingt besser als Schmuddelecke 😉
      Liebe Grüße, heike

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